Historische Betrachtung der Medienpsychologie

Ramin Rowghani und Christian Hauer

 

Die moderne Medienpsychologie repräsentiert  ein innovatives und dynamisches Forschungsfeld, bei dem Medienwirkungen im Zentrum des Interesses stehen. Formveränderung, die nur als Innovation erscheinen könnte, ist hier nicht gegeben:  ,,Medienpsycholog/inn/en machen es sich heute zur Aufgabe, medienbezogenes Erleben und Verhalten nicht nur zu beschreiben, sondern auch zu erklären und zu prognostizieren“ (Trepte 2004, S. 4).  

Aufgrund von mannigfaltigen Entwicklungen im Bereich der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien ist es jedoch schwierig geworden, mit einer qualifizierten Medienanalyse von allen verfügbaren Medienangeboten Schritt zu halten.

 

Damit die Medienpsychologie mit aktuellen Tendenzen in der Medien- und Kommunikationsbranche – der Medienökonom Matthias Karmasin spricht vom Econonic Shift, Cultural Shift und dem Convergence Shift – zurecht kommen kann, erscheint es erforderlich, die Zeit der interdisziplinären Forschungsrichtung in die Vergangenheit zurückzudrehen. Durch die Suche nach dem Ursprung wird es eventuell auch möglich, die zukünftige Richtung der Medienpsychologie etwas besser bestimmen zu können und somit einen möglichen Schiffbruch nachhaltig zu vermeiden.

 

Aus den Forschungen von WINTERHOFF-SPURK (2004, S. 7) geht beispielsweise hervor, daß die letzten fünf Jahre des 19. Jahrhunderts den Ausgangspunkt der Medienpsychologie darstellen, obwohl der Zeitraum in Relation zu gleichzeitigen politischen und wirtschaftlichen Ereignissen eher beschaulich war.

Wie es die Siegener Psychologin Angela SCHORR (2003, S. 336) lakonisch erklärt, ist die Geschichte der Medienpsychologie mit jener der Massenmedien (auch der Massenpsychologie) eng verknüpft: 1895 zeigten die Gebrüder Lumière im Indischen Salon des Grand Café in Paris und vielleicht sogar etwas früher  die Brüder Skladanowsky im Berliner Winterpalast zum ersten Mal Kinematographienfilme der neugierigen Öffentlichkeit. Darüber hinaus wurden 1896 (,The Yellow Kid’ von Outcault) und 1897 (,Katzenjammer Kids’ von Dirks) die ersten Comics publiziert. 1898 erscheint dann die Erstausgabe der Berliner Morgenpost, die als das erste Massenblatt der Geschichte in die Annalen eingeht, mindestens im deutschsprachigen Raum.

 

Medienpsychologische Studien ließen aber noch rund 100 Jahre auf sich warten und wurden vorwiegend in diversen Fachzeitschriften der psychologischen Anwendungsfächer veröffentlicht. Allerdings muss man in diesem Zusammenhang feststellen, dass medienpsychologische Problemstellungen, Forschung und sogar Theorieansätze zwar in der Literatur bis in das beginnende 20. Jahrhundert zurück reichen, obwohl sie nicht unter dem Begriff der Medienpsychologie publiziert wurden.

 

TREPTE (2004, S. 18f.) differenziert drei Phasen der medienpsychologischen Historie, wobei die Zeitspanne von 1895 bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts aufgrund ihrer Kürze nicht als separater Abschnitt genannt wird. Das Hauptcharakteristikum der ersten Phase, die vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die 70er Jahre reicht, stellt das Nichtvorhandensein einer einheitlichen medienpsychologischen Forschung dar.

 

Psychologen aus diversen Subdisziplinen wandten gängige Ansätze an, um die soziale Relevanz der Medien zu erklären. Im Zentrum der Aufmerksamkeit standen die Rezipienten, die hinsichtlich ihrer soziodemografischen Attribute kategorisiert wurden. ,,Einen wahren Forschungsboom erlebten medienpsychologische Themen Ende der 1970er bis in die 1990er Jahre“ (Trepte 2004, S. 11). Dies ist sogleich die Periode der zweiten Phase, welche ebenso als die offizielle Gründungszeit der Medienpsychologie gilt. Aber erst Ende der 80er Jahre erhielt die Disziplin ihre heutige Kontur, indem einzelne Themenbereiche definiert wurden (vgl. Schorr 2003, S. 335). Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die psychologische Persuasionsforschung die medienpsychologischen Untersuchungen zu dieser Zeit zu einem hohen Grad dominierten.

 

Ferner tendierten Medienpsychologen tiefergehende Probleme im Fernseh- und im computerunterstützten Medienbereich, wie z.B. die emotionale Komponente während der Medienrezeption und die kognitionspsychologische Dimension nach der Medienwirkung, empirisch zu prüfen. Durch medienpsychologische Institutionen, etwa einer Fachzeitschrift (Zeitschrift für Medienpsychologie) und einer Fachgruppe (Deutsche Gesellschaft für Psychologie), hat die Medienpsychologie zu dieser Zeit ein erkennbares Gesicht bekommen.

 

Am Beginn des 21. Jahrhunderts, welcher den Start der dritten Phase darstellt, zählt wie bereits erwähnt die Medienpsychologie zu den innovativsten Forschungsfeldern der Angewandten Psychologie. Offensichtlich konsolidieren sich die derzeitigen Themenbereiche. MANGOLD/VORDERER & BENTE (2004) benennen 15 verschiedene Problemfelder und Anwendungen im Bereich der Medienpsychologie.

 

Diese wären: Lesen, Musikrezeption und Radionutzung, Fernsehnutzung und Fernsehwirkung, Nachrichten, Infotainment und Edutainment, Unterhaltung, Pornografie, Medien und Gewalt, Werbung, Mensch-Computer-Interaktion, computervermittelte Kommunikation, Computer- und Videospiele, Interaktives Lernen mit Multimedia, E-Learning und netzbasierte Wissenskommunikation sowie schließlich die sozio-emotionale Dimension des Internet. Trotz einer klaren Abgrenzung von medienpsychologischen Forschungsfelder besteht aber ein Manko hinsichtlich ,,einer eigenständigen und aktiven Theorieentwicklung“ (Trepte 2004, S. 17).

 

Die Frage nach DEM Begründer der Medienpsychologie ist zudem außerordentlich schwierig zu beantworten, da in der Literatur widersprüchliche Hypothesen existieren und zwischen Begründern der frühen und der heutigen Medienpsychologie differenziert wird.

 

BENESCH (1992, S. 140) nennt in diesem Kontext vier Urväter: Paul Lazarsfeld, der als Begründer der Hörerforschung in den 30er Jahren gilt; Kurt Lewin, der die Gruppenpsychologie für Kommunikationspsychologie salonfähig machte; Harold Dwight Lasswell, der als Analyst von Medieninhalten bekannt wurde und schließlich Carl Hovland, der in der Moderatorenforschung eine zentrale Rolle spielte. Im Gegensatz dazu führt TREPTE (2004, S. 12) als traditionelle Protagonisten der Fernsehforschung der 80er und 90er Jahre und als Begründer der heutigen Medienpsychologie Hertha Sturm, Jo Groebel, Peter Winterhoff-Spurk und Peter Vitouch an., wir ergänzen deutlich mit dem langjährigen Berliner PH-Professor und späteren Leiter des Arbeitsbereichs Medienforschung (Medienpsychologie und Medienpädagogik) der Freien Universität Berlin Ludwig J. Issing.

 

Offensichtlich kann nicht nur von einem einzigen, sondern vielmehr von mehreren Gründern, die ihre Forschungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten vorantrieben, gesprochen werden. Medienpsychologische Forschungen im Smartphone-Bereich stecken noch in den Kinderschuhen. Um den modernen Anforderungen auf den Medienmärkten mit medienpsychologischer Kompetenz begegnen zu können, scheint es sinnvoll, eine einheitliche und konsistente medienpsychologische Theorie zu finden. 

 

 R.R. / Chr. H. 

 

 

Literatur:

 

- Benesch, H.(1992). Anwendungsfelder der Psychologie. Weinheim: Beltz.

- Bonfadelli H./ Friemel, T. (1999/ 6. Auflage 2017), T.: Medienwirkunsgforschung, Konstanz 

- Issing, L.J.(1987): Medienpädagogik im Informationszeitalter, Weinheim 

- Issing, L.J./ Klimsa, P. Hg. (2002). Information und Lernen mit Multimedia und Internet: Lehrbuch für Studium und Praxis, Weinheim- Karmasin, M. (2003). „Was ist neu an der neuen Kommunikationswissenschaft?“ In: Löffelholz, M. & Quandt, T. (Hrsg.): Die neue Kommunikationswissenschaft. Theorien, Themen    und Berufsfelder im Internet-Zeitalter. Wiesbaden: S. 49-57.

- Mangold, R./Vorderer, P. & Bente, G. (2004) (Hrsg.). Lehrbuch der Medienpsychologie. Göttingen et al.: Hogrefe.

- Schorr, A. (2003). Psychologie als Profession. Das Handbuch. Bern et al.: Hans Huber.

- Sturm, H. (1976): Methoden der Medienwirkungsforschung, München

- Sturm, H. (1991): Fernsehdiktate, Gütersloh

- Trepte, S. (2004). ,,Zur Geschichte der Medienpsychologie“. In: Mangold,R./Vorderer, P. & Bente, G. (Hrsg.): Lehrbuch der Medienpsychologie.  Göttingen et al.: Hogrefe, S. 3-25.

- Winterhoff-Spurk, P. (2004). Medienpsychologie. Eine Einführung. 2. erw. u. überarb. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer.

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Felix qui potuit rerum cognoscere causas  

 

 

Gemäß dem Vergilschen Motto bietet die Augustinus-Akademie ein Studienforum zur geistigen Neuorientierung, Vertiefung eigener Schwerpunkte und Erweiterung und Ergänzung vorhandener (Er-)Kenntnisse.  Viele Gelehrte sind angefüllt mit einer selbst erarbeiteten Wissenschaft, oft erweisen sie sich aber als ungeeignet, durch ihr Wissen einen besonderen Eindruck auf die Mitmenschen zu machen, also ihr Wissen adäquat weiterzugeben. Selbst Kult-Wissenschaftler Albert Einstein gehörte zu solchen. Als lehrender Professor an  der Vorgängeruni der Humboldt-Universität versagte er komplett. Es gibt nicht wenige Gelehrte, die ihr geistiges Werk für sich behalten oder es nur im kleinen Kreis präsentieren, sie gelten als "Privatgelehrte". Andere drängt es zur Arbeit am Schreibtisch und späteren Publikationen, von denen sich hier durch kleine oder größere wissenschaftliche Aufsätze einige wiederfinden. Im wissenschaftlichen Austausch kann es es anstehen, die Rede- und Lehrkunst zu erlernen. Vom stillen Leser und Lerner entwickelt man sich zum sozial denkenden Wissenschaftler, der in der Studiengruppe seine Position hat, Wissen weitergibt und annimmt. 

 

Ästhetik-Professor Bazon Brock findet eine ganz eigene Definition von "Akademie":

 

"Die Akademie ist der Versuch, eine Gemeinschaft zu bilden, die dem Academus entspricht, eine Akademie ist ein Zusammenschluß von Menschen, die sich in anstrengenden Zeiten, vornehmlich in Zeiten des Analphabetismus und der allgemeinen Zerstreuung durch kriegerische oder sonstige evolutionäre Prozesse wechselseitig garantieren, daß das, was sie tun, sinnvoll ist. Wir schreiben, wir malen, wir musizieren, wir komponieren und spielen Theater.

 

D.h. eine Akademie wäre ein Zusammenschluß von Menschen, die sich als Schreiber garantieren, daß das Schreiben einen Sinn hat, weil es Leute gibt, die es lesen: nämlich alle anderen Mitglieder der akademischen Gemeinschaft, denn das ist sehr sinnvoll, wenn wir zur Gemeinschaft des akademischen Typs gehören; dann übernehmen wir die Verantwortung dafür, daß Schreiben, Musizieren, Malen sinnvoll von den Malern, Schreibern, Komponisten betrieben werden kann, weil es Leute gibt, die lesen, betrachten, die zuhören und zwar wirklich auf der Ebene der Gleichwertigkeit  des Rezipienten zum Produzenten.

 

 Das hat eine sehr mäßigende und erzieherische Maßnahme, nämlich wenn wir 100 Akademiker in einer  Gemeinschaft hätten, dann könnte jeder Schreiber, um eine Seite zu publizieren nur die Möglichkeit, gelesen zu werden, einklagen, indem er 99 Seiten seiner Kollegen liest.

 

Es ist nur derjenige "Maler", der würdigt, was andere gemalt haben, sonst ist es sinnlos, Maler zu sein. Also sind Akademien heute dringender als je zuvor, Zusammenschlüsse von Leuten, die die Sinnhaftigkeit ihres eigenen Tuns in aller gutsinnigsten Weise begründet haben möchten: diejenige Vergesellschaftung, in der man sich gegenseitig Sinnhaftigkeit garantiert."

 

                     Prof. Dr. Bazon Brock: Kunst als unabdingbare Kritik an der Wahrheit, Vortrag vom 29. Januar 2014

                                                                                                  Bazon Brock ist Rektor der DENKEREI in Berlin SO36